Warum ist Wechseldruck nicht immer die richtige Therapie bei Dekubitus ?
In der täglichen Praxis fällt es oft schwer, das geeignete Antidekubitus-System für den Patienten zu finden, das genau seinen Bedürfnissen entspricht.
In der Antidekubitus-Versorgung sind Wechseldrucksysteme seit Jahren etabliert. Jedoch sollte man auf Grundlage jüngerer Erkenntnisse und Beobachtungen aus Pflege und Medizin ihre einheitliche Nutzung kritisch hinterfragen.
Angeregt durch den Prozess der Professionalisierung in der deutschen Pflege, entwickelten sich pflegerische Konzepte, wie z. B. Aktivitas Pflege, Kinästhetik oder bereits bestehende und wissenschaftlich belegte Konzepte, die für die Pflege modifiziert wurden, wie beispielsweise die Basale Stimulation. Die daraus resultierende gesteigerte Pflegefachkompetenz ermöglicht es, den Patienten ganzheitlich zu betrachten und zu pflegen.
Auch die Sichtweise des Themas Dekubitus ist dabei, sich grundlegend zu verändern. Wurden Druckgeschwüre vor Jahren noch als reine Auswirkungen von Druck und Scherkräften gesehen, wissen wir heute, dass auch psychosoziale Faktoren das Geschehen stark beeinflussen können. Folglich standen bei früheren Produktentwicklungen von Antidekubitus-Hilfsmitteln ausschließlich die Reduzierung von Druck und Scherkräften im zentralen Mittelpunkt.
Nach dem heutigen Wissensstand ist das Hinzuziehen der Grunderkrankung ein entscheidendes Kriterium zur Auswahl des geeigneten Lagerungssystems. Gerade Patienten mit Wahrnehmungsstörungen, wie beispielsweise Schlaganfallpatienten und Morbus Alzheimerpatienten, können Wechseldruck-Systeme gravierende Nebenwirkungen verursachen, die sich negativ auf den Heilungsprozess auswirken können. Wer also richtig helfen will, braucht auch die richtigen Hilfsmittel.
Beim Einsatz von Wechseldrucksystemen sind folgende Veränderungen bei Patienten beobachtbar:
- eine negative Gewöhnung (Degenerative Habituation) auf Grund ständig wiederkehrender, gleichförmiger Reize
- Störung des Körperbildes und der körperbezogenen Wahrnehmung
- Koordinationsstörungen
- Umweltreize können fehlinterpretiert werden
- Räumliche und zeitliche Desorientierung
- Kommunikationsstörungen
- Verhaltensauffälligkeiten
- Emotionale Störungen
- Verstärkung vorhandener Schmerzsymptomatik durch hohe Hubbewegungen und temporäre Spitzendrücke
- Beeinträchtigung der Schlafqualität durch Geräusche, Vibrationen sowie eine unphysiologische Liegeposition
- Negative Veränderungen des Haut- und Bettklimas
- Eingeschränkte Beweglichkeit, dadurch Förderung von Kontrakturen
- Mögliches Auftreten von Spastiken
- Negative Beeinflussung des Wohlbefindens des Patienten durch mangelnde, bedürfnisgerechte Anpassbarkeit
Auch für Pflegende kann sich die Handhabung von Wechseldrucksystemen schwierig gestalten:
- Die Lagerung und Bewegungsförderung des Patienten ist erschwert
- Probleme beim Patiententransfer
- Hohe Störanfälligkeit vieler Systeme und das Unvermögen, diese Störungen zu beheben
- Bei Defekten der Systeme kommt es zum sofortigen kompletten Funktionsverlust
Pflegewissenschaft-Info, Oktober 2001, Hrsg. IGAP